Gesellschaftsutopie auf dem Prüfstand des Theaters

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Fächerübergreifendes Projekt der Klasse 8b am LMG endet mit erfolgreicher Aufführung

Utopien im Sinne von idealen Gesellschaftsformen haben in der Literatur seit Thomas Morus` „Utopia“ aus dem Jahr 1516 Hochkonjunktur. Im 20. Jahrhundert entstanden dann Anti-Utopien, G. Orwells` „1984“ und „Schöne neue Welt“ von A. Huxley sind die bekanntesten davon, aber auch die gegenwärtige Film- und Literaturbranche lebt von Themen aus dem Bereich Science-Fiction, man denke an „Star Wars“ oder „Matrix“.Die Wahl der Deutschlektüre der Klasse 8b am Lise-Meitner-Gymnasium fiel mit „Hüter der Erinnerung“ von Lois Lowry ebenfalls auf einen Jugendroman dieses Genres. Die Vision einer zukünftigen Gesellschaft, die nur auf Funktionalität und Kontrolle basiert, fesselte die jugendlichen Leser derart, dass sie den Plot der Handlung als Grundlage für ihr Theaterstück mit dem Titel „Auserwählt“ nahmen.Im Verlauf des vergangenen Schuljahrs entwickelte die Klasse eine eigene dramatische Fassung des Romans, die nun zur Aufführung kam.

Noah, der 13-jährige Protagonist, lebt in einer Welt, die durch Effizienz und Kontrolle geprägt wird. Not und Elend wurden eliminiert,denn Berufswahl und Familienplanung stehen unter Aufsicht der Gemeinschaft. Als Noah zum neuen Bewahrer der Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen der ehemaligen Welt erwählt wird, erkennt er, welch hohen Preis die Mitglieder der Gemeinschaft für ihr scheinbar sorgenfreies Leben zahlen müssen. Sein Bild der Sozialutopie, in der er lebt, bekommt Risse. Als das Leben seines jüngeren Pflegebruders Johannes bedroht ist, macht er sich mit ihm auf die Flucht nach „Anderswo“, einem Sehnsuchtsort, den er bereits im Traum gesehen hatte. „Die Auseinandersetzung mit dieser Anti-Utopie einer faschistoid wirkenden Gesellschaft schärfte bei den Schülern den Blick auf ihre eigene Lebenswirklichkeit“, so die Deutschlehrerin und Projektleiterin Corinna Feuchter, “die Bedeutung von Freiheit, Gefühlen und Phantasie bekam für die Jugendlichen dadurch einen höheren Stellenwert“. Auch der Sprachgebrauch der Schüler wurde durch die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik sensibilisiert. Das Wort „töten“ wurde in dieser Scheinwelt durch den Euphemismus „verabschieden“ ersetzt, in der Schulszene werden die Schüler regelrecht abgerichtet, das ständige Durchzählen „macht sie nur zur Nummer“ und die Regeln der Gemeinschaft werden in einem doppeldeutigen „Regel-Diktat“ eingeübt.

Optisch wurde der Kontrast der beiden Welten ebenfalls unterstrichen: Während die Kulissen und Kostüme der Gemeinschaft in strengem Schwarz – Weiß gehalten waren, bot der Sehnsuchtsort der Erlebnisse und Erinnerungen farbige Kulissen und bunte T-Shirts. Jede der beiden Welten wurde auf einer eigenen kleinen Bühne dargestellt, zwischen denen die Akteure wechselten. Dazwischen befand sich auf halber Höhe der Sprechchor, der das Geschehen mit Witz und Ironie kommentierte.Mit großer Ernsthaftigkeit vermittelten die Akteure in getragener, emotionsloser Rede, hier v.a. Chiara Maas in der Rolle der Mutter, Xenia Kinzel als Vater und Patricia Hofmann als Tochter die Tristesse der Science-Fiction-Welt. Der alte Bewahrer, gebeugt durch die Bürde der Erinnerungen, wurde überzeugend von Paul Höhne dargestellt, der in Kontrast zu den beiden Noah-Darstellern, Philipp Hägele und Silas Krone, stand.

Die Musiklehrerin Ines Mend unterstützte die Schüler bei der Auswahl der Musik, für die Gestaltung der Kulissen war die Kunstlehrerin Wildis Streng-Sengle verantwortlich und die beiden Technik-Lehrer Isabelle Carle und Tim Steuer bauten zusammen mit den Schülern die Holzkulissen. Neben den Akteuren auf der Bühne gab es auch Schülergruppen, die für die Technik, die Öffentlichkeitsarbeit, das Catering und das Sponsoring verantwortlich waren. Bei der Suche nach Sponsoren wurden die Schüler vom Förderverein des LMG unterstützt. Entstanden ist ein Theaterstück, das Familie, Freunde, Lehrer und Mitschüler am Lise-Meitner-Gymnasium gleichermaßen beeindruckte.

Foto: Der weise Bewahrer (links, dargestellt von Paul Höhne) gibt seine Erinnerungen und Erfahrungen aus der vergangenen Welt an den Jungen namens Noah weiter (Philipp Hägele).